Die vier Jahreszeiten des Kondratieff-Zyklus

17. Mai 2024

Kondratieff

Beitrag von Dietmar Peetz, CIO RealUnit Schweiz AG

Die strukturellen Probleme des globalen Finanzsystems werden immer offensichtlicher. Vieles deutet darauf, dass wir in der Winterphase im Kondratieff-Zyklus angelangt sind. Die erforderlichen Anpassungen bei der Vermögens-Allokation sind entscheidend, um die negativen Auswirkungen auf das Vermögen zu minimieren und die Grundlagen für den nächsten Aufschwung zu legen.

Nikolai Kondratieff (1892-1938), ein russischer Ökonom, wurde vor rund 100 Jahren durch seine Forschungen zur Stärke des kapitalistischen Wirtschaftssystems berühmt.

Kondratieff betrachtete Krisen im Kapitalismus als wesentliche Momente der Erneuerung, die das System herausfordern und Chancen für Innovation und Erneuerung bieten. Er sah in der Fähigkeit zur Selbsterneuerung einen entscheidenden Vorteil gegenüber einer Planwirtschaft, die nicht über eine solche eingebaute Mechanik verfügt. Diese Ansichten machten ihn bei der stalinistischen Führung der Sowjetunion unbeliebt, und infolgedessen wurde er in ein Straflager verbannt, wo er letztlich erschossen wurde.

Seine statistischen Beobachtungen zeigten, dass kapitalistische Wirtschaften in etwa alle rund 54 Jahre durch große Konjunkturwellen gehen, die er in Phasen unterteilte, analog zu den vier Jahreszeiten:

  • Aufschwung (Frühling)
  • Höhepunkt (Sommer)
  • Abschwung (Herbst)
  • Tiefpunkt (Winter)

 

In seinem prägenden Aufsatz „Die Langen Wellen der Konjunktur“ von 1926 erklärte er, wie diese langen Wellen durch technologische Innovationen und sozioökonomische Veränderungen angetrieben werden.

Er prognostizierte das Ende einer solchen Welle für die späten 1920er Jahre, eine Vorhersage, die sich mit dem Börsencrash von 1929 und der darauffolgenden Großen Depression eindrucksvoll bestätigte. Der nächste Wendepunkt im Zyklus kam dann rund 50 Jahre später mit dem wirtschaftlichen Einbruch in den 1970er. Diese Periode war durch hohe Inflationsraten und einer Währungskrise geprägt, die die globalen Ökonomien stark herausforderten. Die USA wurden gezwungen, den Goldstandard aufzugeben. Grossbritannien stand am Rand des Staatsbankrotts und musste durch einen Kredit des Internationalen Währungsfonds gerettet werden. Es waren genau diese Krisen, die im Rahmen der neoliberalen Revolution in den frühen 1980er Jahren die notwendigen Reformen auslösten, um eine Frühlingsphase neuen Wirtschafts- und Schuldenwachstums einleiten zu können.

Die Sommerphase im Kondratieffzyklus war gekennzeichnet durch fallende Zinsen, eine enorme Ausweitung der Geldmenge und gewaltigen Anstieg der Schulden und Finanzvermögen. Die Realwirtschaft konnte mit diesem Wachstum allerdings nicht Schritt halten, denn um Gewinne zu steigern und Zinsen abzuführen wurden wichtige Investitionen oft unterlassen, was die produktive Basis der Volkswirtschaften langfristig schwächte.

Seit spätestens 2019/2020 sind wir in der Winterphase angelangt. Seitdem erleben wir eine Wirtschaftslage, die durch neu aufgenommene Schulden angekurbelt wird und gleichzeitig die Verschuldung im System exponentiell wächst.

Aber anders als noch in der Frühlingsphase des jetzigen Kondratieffzyklus, als die Staatsverschuldung moderat war, sind jetzt die Möglichkeiten für weiteres Wachstum auf Pump weitestgehend verbaut. Die Zentralbanken stehen vor dem Dilemma, entweder die Zinsen zu erhöhen, um die Inflation tief zu halten, oder die Zinsen niedrig zu halten, um die steigende Staatsverschuldung zu stemmen. In beiden Fällen drohen ernste Probleme.

Aufgrund ihrer Länge sind Kondratieffzyklen schwer im alltäglichen Leben zu erkennen, da sie sich über Generationen erstrecken, aber in der Herbst- bzw. Winterphase manifestieren sich die Auswirkungen von zunächst subtil und schleichend und zuletzt immer schnell über den schrittweisen Verlust der Kaufkraft des Geldes (gemessen im Preisanstieg realer Güter). Ebenso führen sie zu sozialen Spannungen, die sich aus Ungleichheiten und politischem Populismus entwickeln.

Noch subtiler und weniger direkt wahrnehmbar sind die sogenannten Hegemonialzyklen. Diese beschreiben lange Perioden, in denen bestimmte Nationen oder Staatenbünde eine dominierende Rolle in der Weltordnung spielen. Der Aufstieg und Fall von Großmächten, wie er in diesen Zyklen zum Ausdruck kommt, ist ein Prozess, der sich über noch mehr Generationen erstreckt und tiefgreifende Veränderungen in der geopolitischen Landschaft nach sich zieht. Diese Zyklen beeinflussen die globalen Machtverhältnisse und formen indirekt die Bedingungen, unter denen wirtschaftliche und politische Entscheidungen auf internationaler Ebene getroffen werden. Der Einfluss dieser Hegemonialzyklen auf das tägliche Leben ist kaum spürbar, doch ihre Auswirkungen sind in der Gestaltung der globalen Politik und Ökonomie omnipräsent.

Nach dem Ablauf von zwei Kondratieff-Zyklen, also ungefähr rund 110 Jahre, erreicht das globale Wirtschaftssystem eine Phase, in der es besonders anfällig für Krisen ist. Diese Anfälligkeit resultiert aus den sich über lange Zeiträume aufgetürmten Schulden und den unlösbar gewordenen sozialen Ungleichgewichten. Solche Perioden korrespondieren häufig mit kriegerischen Konflikten, die als Katalysatoren für eine Neuordnung der globalen Machtstrukturen dienen können.

Der letzte Wechsel im Hegemonialzyklus begann 1914, als Großbritannien, der damalige Hegemon, durch das aufstrebende Deutschland herausgefordert wurde. Diese Spannungen mündeten in zwei Weltkriegen, die über einen Zeitraum von 30 Jahren ausgetragen wurden und schließlich die Frage der weltweiten Vorherrschaft klärten. Obwohl Großbritannien formal als Sieger aus diesen Konflikten hervorging, hatte das Land so hohe Schulden angehäuft, dass es nicht mehr in der Lage war, seinen Anspruch als Weltmacht militärisch aufrechtzuerhalten. Infolgedessen stiegen die Vereinigten Staaten zur neuen globalen Hegemonialmacht auf.

Wir stehen heute 2024, also 110 Jahre nach dem letzten großen Wendepunkt, erneut an einem kritischen Punkt der globalen Machtstrukturen. Diesmal ist es vor allem China, dass die Dominanz des Westens herausfordert. Diese geopolitische Verschiebung könnte tiefgreifende Auswirkungen auf das westliche Finanzsystem haben, da eine Neuausrichtung der globalen Machtverhältnisse die vorhandenen wirtschaftlichen und politischen Strukturen stark unter Druck setzt.

Die anhaltenden geopolitischen Spannungen und die Sanktionen gegen Länder wie Russland, Iran und China haben im Westen zu Problemen bei der Rohstoffversorgung geführt. Die Notwendigkeit, Rohstoffe zu höheren Preisen aus alternativen Quellen zu beziehen, hat inflationäre Effekte verstärkt und die Kaufkraft der betroffenen Währungen geschwächt. Zugleich hat die Umstellung auf Elektrofahrzeuge und alternative Energieprojekte zu einer Unterinvestition in traditionelle Energiequellen geführt, was die zukünftige Verfügbarkeit dieser Ressourcen gefährdet.

Die Militarisierung des US-Dollars hat viele Länder dazu bewogen, eine Alternative zum Dollarblock zu suchen und Währungen ihrerseits stärker aneinander zu koppeln. Die für das Jahr 2025 zu erwartende Einführung einer digitalen mit Rohstoffen unterlegte Zentralbankwährung geht genau in diese Richtung. Diese Entwicklungen könnten bis 2030, also in den kommenden sechs Jahren,  die Vormachtstellung des US-Dollars als Weltleitwährung herausfordern.

Die strukturellen Probleme des globalen Finanzsystems werden immer offensichtlicher werden und deuten darauf, dass wir in der Winterphase im Kondratieff-Zyklus angelangt sind oder bald dort ankommen werden. Die erforderlichen Anpassungen in der Asset Allokation sind entscheidend, um die negativen Auswirkungen auf das Vermögen zu minimieren und die Grundlagen für den nächsten Aufschwung zu legen.

Die Einsichten Kondratieffs in die zyklische Natur der Wirtschaft und die Rolle von Fortschritt und Innovationen als Lösungsweg für Krisen liefern wichtige Ansatzpunkte für die Entwicklung effektiver Strategien, die dazu beitragen können, die negativen Auswirkungen der unvermeidlichen Krise zu mildern und den darauffolgenden Aufschwung optimal zu nutzen.

Das Wissen um die langfristigen negativen Folgen ungezügelter Schuldenausweitung sind fundamental für die Entwicklung der Realunit Anlagestrategie. Wir verfolgen das Ziel, Ihr Vermögen vor Krisen zu schützen, indem wir in verschiedene reale Werte investieren.

Bildquelle: Lilya – stock.adobe.com

Der Autor
Dietmar Peetz RealUnit CIO

CHIEF INVESTMENT OFFICER

Dietmar Peetz

Dietmar Peetz ist Experte für Vermögensschutz in Krisenzeiten und verfügt über mehr als 30 Jahre praktische Finanzmarkterfahrung. Er war Leiter Portfolio Management und Research sowie Senior Portfolio Manager bei renommierten Finanzinstituten im In- und Ausland. Mehrere Jahre verwaltete er bei der Credit Suisse Asset Management erfolgreich den grössten europäischen Rohstofffonds. Im Jahr 2007 promovierte er zum Thema Finanzmarktinstabilität.

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